Der englische Notar in Deutschland

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde eines englischen Notars gegen die Versagung, in Deutschland eine nach deutschem Recht ausschließlich in Deutschland bestellten Notaren vorbehaltene Tätigkeit auszuüben, nicht zur Entscheidung angenommen.

Der englische Notary ist Rechtsanwalt und war bis zum Erreichen der Altersgrenze Notar im Bezirk des Berliner Kammergerichts. Er ist ferner Barrister-at-Law und Scrivener Notary in England und Wales. Als englischer Notar möchte er in Deutschland notarielle Dienste unter englischem Siegel nach englisch-rechtlichen notariellen Vorschriften unter Beachtung des deutschen Rechts erbringen.

Die Präsidentin des Kammergerichts lehnte die Erteilung einer von dem englischen Notary erbetenen schriftlichen Bestätigung, dass sie seiner notariellen Tätigkeit unter englischem Siegel in Deutschland nicht entgegentreten werde, ab. Auch die unter anderem auf Feststellung gerichtete Klage, dass der englische Notary berechtigt sei, als englischer Notar in Deutschland eine nach deutschem Recht ausschließlich in Deutschland bestellten Notaren vorbehaltene Tätigkeit auszuüben, blieb vor dem Kammergericht ohne Erfolg. Den Antrag des englischen Notars, gegen dieses Urteil die Berufung zuzulassen, hat der Bundesgerichtshof abgelehnt.

Die gegen die beiden gerichtlichen Entscheidungen gerichtete Verfassungsbeschwerde, mit der der englische Notary eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art.20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 101 GG sowie eine Verletzung von Art. 15, Art. 16, Art. 17 der EU-Grundrechte-Charta und von Art. 6 EMRK rügt, hat das Bundesverfassungsgericht nun nicht zur Entscheidung angenommen:

Nach §§ 92, 23 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz BVerfGG ist ein englischen Notary gehalten, den Sachverhalt, aus dem sich die Grundrechtsverletzung ergeben soll, substantiiert und schlüssig darzulegen. Er ist des Weiteren verpflichtet, das angeblich verletzte Grundrecht oder grundrechtsgleiche Recht zu bezeichnen und substantiiert darzutun, inwieweit es durch die angegriffene Maßnahme verletzt sein soll. Werden gerichtliche Entscheidungen angegriffen, muss sich der englische Notary auch mit deren Gründen auseinandersetzen.

Der englische Notary hat bereits davon abgesehen, den der Verfassungsbeschwerde zugrunde liegenden Lebenssachverhalt und den Gang der Gerichtsverfahren zu schildern. Soweit sich der Lebenssachverhalt und der Verfahrensablauf aus den angegriffenen Entscheidungen ergeben, ist es jedenfalls nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die beigefügten Anlagen auf verfassungsrechtlich relevante Lebenssachverhalte hin zu prüfen.

Darüber hinaus fehlt es an der gebotenen Auseinandersetzung mit den umfangreichen Gründen der angegriffenen Entscheidungen. Soweit der englische Notary in der Beschwerdebegründung seine Rechtsansicht näher darstellt und auch umfangreich Rechtsprechung und Literatur zitiert, wird dieser Vortrag nicht in einen Zusammenhang mit den Gründen der angegriffenen Gerichtsentscheidungen gebracht. Dabei wird auch nicht näher dargelegt, inwieweit Verfassungsrecht unter Berücksichtigung des Maßstabs, anhand dessen das Bundesverfassungsgericht gerichtliche Entscheidungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüft, verletzt sein soll.

So ist auch die Rüge, dass die Nichtzulassung der Berufung beziehungsweise die unterlassene Vorlage des Verfahrens an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung (Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletze, nicht hinreichend substantiiert, weil der englische Notary nicht darlegt, dass den angegriffenen Entscheidungen eine willkürliche Auslegung oder Anwendung des Prozessrechts zugrunde liegt. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung von Normen, die die gerichtliche Zuständigkeitsverteilung regeln, nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind oder das Gericht Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat. Diese Grundsätze gelten auch für die unionsrechtliche Zuständigkeitsvorschrift des Art. 267 Abs. 3 AEUV. Daher bedeutet nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht zugleich auch einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Soweit der englische Notary in der Nichtzulassung der Berufung durch den Bundesgerichtshof zugleich eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG sieht, sind die diesbezüglichen Ausführungen ebenfalls nicht hinreichend substantiiert. Dies gilt ebenso für die Rüge des Verstoßes gegen weitere Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte und die Rüge des Verstoßes gegen Art. 6 EMRK, dessen Verletzung der englische Notary zwar nicht unmittelbar mit der Verfassungsbeschwerde geltend machen kann, sondern allenfalls mittelbar in Verbindung mit einem einschlägigen Grundrecht. Auch mit der Rüge einer Verletzung der EU-Grundrechte-Charta hat die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg, weil aus der Charta keine Rechte des englischen Notars folgen, die gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 BVerfGG vor dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden können.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. Oktober 2015 – 1 BvR 2329/15