Der übergangene Notarbewerber – und die Amtshaftung wegen verfassungswidriger Auswahlentscheidung

Wegen der in Art.20 Abs. 3 GG normierten Bindungen an die verfassungsmäßige Ordnung, Gesetz und Recht ist es jeder Staatsgewalt schlechthin verboten, rechtswidrig zu handeln. Die Verpflichtung zu gesetzestreuem Verhalten ist Amtspflicht.

Neben diesen allgemeinen Pflichten gibt es besondere Regelungen in Beamtengesetzen, Amtspflichten können sich aber auch aus der Art und Natur der wahrzunehmenden Aufgabe ergeben. Allgemein trifft alle Beamten die Amtspflicht, sich bei ihrer amtlichen Tätigkeit innerhalb der Grenzen von Recht und Gesetz zu halten.

Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 08.10.2004 waren die im Ausgangsverfahren ergangenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 31.03.2003, des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 08.10.2002 und die Verfügung des Baden-Württembergischen Justizministeriums wegen eines Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG rechtswidrig. Die Auswahlentscheidung war danach amtspflichtwidrig erfolgt.

Das beklagte Land kann sich nicht darauf berufen, dass schon keine Amtspflichtverletzung vorliege, da sich die Entscheidung im Rahmen des eingeräumten Ermessens oder im Rahmen eines Beurteilungsspielraums bewegt habe. Im vorliegenden Sachverhalt geht es (zunächst) nicht um die Frage, ob sich die Auswahlentscheidung im Rahmen des eingeräumten Ermessens bewegt hat, sondern darum, dass nach den Vorgaben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 08.10.2004 das in der AVNot festgelegte Punktesystem nicht zugrunde gelegt werden durfte. Zu beurteilen ist hier nicht die Ermessensausübung, sondern die von Anfang an rechtswidrige, weil auf einer rechtswidrigen Grundlage beruhende Auswahlentscheidung.

Der Notarbewerber kann sich seinerseits nicht auf das der damaligen AVNot innewohnende normative Unrecht berufen. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB und Art. 34 GG verlangen, dass der Amtsträger die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt hat. Die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung nimmt insoweit an, dass rechtswidrige Akte der Parlamentsgesetzgebung sowie der Erlass untergesetzlicher Rechtsnormen in der Regel keine Amtshaftungsansprüche begründen, da insoweit nur Amtspflichten gegenüber der Allgemeinheit oder einer unbestimmten Anzahl von Personen wahrgenommen werden, es also an der Zielrichtung auf bestimmte Personen oder Personenkreise fehlt. Die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Verfassungswidrigkeit der AVNot kann deshalb keinen Schadensersatzanspruch begründen.

Das bedeutet aber nicht, dass auch die auf der verfassungswidrigen AVNot beruhende konkrete Auswahlentscheidung keine drittgerichtete Amtspflichtverletzung darstellen kann. Denn der Notarbewerber wurde durch die zugunsten der Mitbewerber ergangene Auswahlentscheidung und deren Ernennung unmittelbar in seinen Rechten betroffen.

Die Drittgerichtetheit einer entsprechenden Pflichtverletzung ist zu bejahen. Die Frage, ob im Einzelfall der Geschädigte zu dem Kreis der Dritten im Sinne von § 839 BGB gehört, beantwortet sich danach, ob die Amtspflicht wenn auch nicht notwendig allein, so doch auch den Zweck hat, das Interesse gerade dieses Geschädigten zu wahren. Nur wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der Natur des Amtsgeschäfts ergibt, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis gehört, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert sein sollen, besteht ihm gegenüber bei schuldhafter Pflichtverletzung eine Schadensersatzpflicht. Hingegen ist anderen Personen gegenüber, selbst wenn die Amtspflichtverletzung sich für sie mehr oder weniger nachteilig ausgewirkt hat, eine Ersatzpflicht nicht begründet. Es muss mithin eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten bestehen. Dabei muss eine Person, der gegenüber eine Amtspflicht zu erfüllen ist, nicht in allen Belangen immer als Dritter anzusehen sein. Vielmehr ist jeweils zu prüfen, ob gerade das im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt werden soll. Es kommt danach auf den Schutzzweck der Amtspflicht an. Dabei genügt es, dass die Amtspflicht neben der Erfüllung allgemeiner Interessen und öffentlicher Zwecke auch den Zweck verfolgt, die Interessen einzelner wahrzunehmen.

Die Beachtung von Art. 12 Abs. 1 GG im Rahmen der Anwendung der damaligen AVNot diente auch den Interessen des Notarbewerbers. Die vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Verletzung von Rechten des Notarbewerbers impliziert die Drittgerichtetheit.

Im Hinblick auf die verfassungswidrige Auswahlentscheidung fehlt es nach Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart an einem Verschulden der handelnden Personen.

Das Verschulden muss sich nur auf die Verletzung der Amtspflicht beziehen; dass der Beamte den hieraus für einen in den Schutzbereich der Amtspflicht einbezogenen Dritten entstandenen Schaden – oder überhaupt einen Schaden – vorausgesehen hat oder voraussehen konnte, ist nicht erforderlich. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 1 Satz 2 BGB). Fahrlässigkeit ist demnach gegeben, wenn der Beamte bei Beachtung der für seinen Pflichtenkreis erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen, dass er seiner Amtspflicht zuwider handelt. Die an die Sorgfaltspflicht zu stellenden Anforderungen richten sich danach, was bei dem Sachverhalt, den der Beamte nach seiner Kenntnis der Dinge als gegeben ansehen konnte, von einem pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten erwartet werden darf. Insoweit ist jeder Beamte verpflichtet, sich über die Entwicklung von Gesetzgebung und Rechtsprechung auf dem Laufenden zu halten, soweit sie für sein Sachgebiet einschlägig ist. Der Bundesgerichtshof wendet im Amtshaftungsrecht insoweit einen objektivierten Sorgfaltsmaßstab an.

Die Frage des Verschuldens bei einer unrichtigen Gesetzesauslegung ist differenziert zu betrachten. Eine infolge unrichtiger Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung fehlerhafte Amtsausübung ist jedenfalls dann schuldhafte Amtspflichtverletzung, wenn die Auslegung gegen den klaren, bestimmten und völlig eindeutigen Wortlaut des Gesetzes verstößt. Eine schuldhafte Amtspflichtverletzung liegt auch vor bei einer offenbar unrichtigen, nicht mehr vertretbaren Gesetzesauslegung, die zu Rechtsprechung und Schrifttum – bei fehlender Rechtsprechung zu der eindeutigen Auslegung im Schrifttum – in Widerspruch steht. Auch wenn es um eine Rechtsfrage geht, zu der es noch keine Rechtsprechung und noch keine Stellungnahme im Schrifttum gibt, kann ein Fahrlässigkeitsvorwurf begründet sein, wenn sich Auslegung und Anwendung so weit von Wortlaut und Sinn der Norm entfernen, dass das gewonnene Ergebnis nicht mehr als vertretbar angesehen werden kann.

Demgegenüber fehlt es an einem Verschulden bei einer zwar unrichtigen, aber nach gewissenhafter Prüfung der zu Gebote stehenden Hilfsmittel auf vernünftige Überlegungen gestützten Auslegung bei solchen Gesetzesbestimmungen, die für die Auslegung Zweifel in sich tragen: Dies gilt insbesondere bei neuen Regelungen und dann, wenn die auftauchenden Auslegungsfragen noch nicht ausgetragen sind.

Dem Beamten kann kein Verschuldensvorwurf gemacht werden, wenn seine nach sorgfältiger Prüfung erlangte und vertretbare Rechtsauffassung später von den Gerichten missbilligt wird. Eine Behörde, die ihre vertretbare, wenn auch in einem späteren Rechtsstreit missbilligte Rechtsmeinung auf Grund sorgfältiger rechtlicher und tatsächlicher Prüfung gewonnen hat, trifft auch dann nicht ohne weiteres der Vorwurf der Fahrlässigkeit, wenn sie sich in der Folgezeit einer gegen sie ergangenen nicht rechtskräftigen Entscheidung nicht beugt. Ob die Rechtslage durch das ihr nachteilige Urteil so eindeutig geklärt worden ist, dass ein Festhalten an ihrer ablehnenden Haltung nicht mehr vertretbar erscheint, muss stets der tatrichterlichen Beurteilung des Einzelfalls vorbehalten bleiben. Allerdings reicht die bloße Vertretbarkeit nicht aus; hinzukommen muss kumulativ, dass die betreffende Rechtsmeinung auf Grund sorgfältiger rechtlicher und tatsächlicher Prüfung gewonnen worden war. Fehlt es an dieser (zweiten) Voraussetzung, kann ein Schuldvorwurf bereits unter diesem Gesichtspunkt begründet sein.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung liegt eine schuldhafte Verletzung von Amtspflichten vor, wenn der Beamte sich mit seiner Auslegung in Gegensatz zu einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung stellt. Umgekehrt soll es an einem Verschulden fehlen, wenn bei dem Streit über die Grundgesetzwidrigkeit einer Norm in einem rechtlich schwierigen Fragenkomplex mit tief greifenden Auswirkungen ein Ministerium bei eingehender Behandlung der Rechtsfrage von einer Entscheidung eines obersten Gerichtshofs des Bundes abweicht, weil es von einer Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung in seinem Sinne erwartet. Danach kann einem Ministerium kein Verschuldensvorwurf gemacht werden, wenn es sich im Rahmen der anzuwendenden Normen hält, bevor diese nicht ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt worden sind. Dies gilt auch, wenn man den verantwortlichen Mitarbeitern eines Justizministeriums, die für sich und den ihnen nachgeordneten Mitarbeitern häufig in Anspruch genommene herausragende (und nicht nur durchschnittliche) Rechtskenntnis zuschreiben mag.

Die sogenannte Kollegialgerichts-Richtlinie ist in diesem Zusammenhang nicht anwendbar. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trifft einen Beamten in der Regel kein Verschulden, wenn ein mit mehreren Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht die Amtstätigkeit als objektiv rechtmäßig angesehen hat. Die Anwendung setzt aber voraus, dass das konkrete Verhalten desjenigen Amtsträgers, der die zu beurteilende Amtspflichtverletzung begangen hat, Gegenstand kollegialgerichtlicher Billigung geworden ist. Die Kollegialgerichts-Richtlinie gilt also nicht, wenn sich der Amtsträger lediglich allgemein auf Gerichtsentscheidungen berufen kann, die seine Rechtsauffassung stützen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 08.10.2002 und des Bundesgerichtshofs vom 31.03.2003 aufgehoben hat, fehlt es an einer konkreten fallbezogenen gerichtlichen Billigung, die ein Verschulden entfallen lassen könnte.

Die Frage einer ausnahmsweisen Nichtanwendbarkeit der Kollegialgerichts-Richtlinie stellt sich nicht. Es kommt danach nur darauf an, ob die gegen Art. 12 Abs. 1, 33 Abs. 2 GG verstoßende Anwendung der damaligen AVNot – im Ergebnis also die späteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – absehbar und vorhersehbar waren und deshalb eine nicht mehr vertretbare Auslegung und Anwendung der damaligen AVNot erfolgte.

Zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung im März 2002 bis zur Ernennung der Konkurrenten am 11.04.2003 war es nicht ausreichend sicher absehbar, dass die AVNot für verfassungswidrig erklärt werden könnte, zumal bis zu den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 20.04.2004 und 8.10.2004 daran seitens des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts keine Zweifel geäußert wurden. Die vom Notarbewerber vorgetragenen Argumente und Indizien führen nicht zu einer anderen Bewertung.

Der Notarbewerber ist der Auffassung, das Verschulden ergebe sich aus der Absehbarkeit einer Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit der AVNot, insbesondere aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 08.08.2002. Die Kollegialgerichts-Richtlinie sei insoweit nicht anwendbar, angesichts der Bevorzugung von Bewerbern ohne eine einzige Beurkundung sei die schuldhafte Amtspflichtverletzung evident.

Entgegen der Auffassung des Notarbewerbers kann ein Fahrlässigkeitsvorwurf nicht an der fehlerhaften Ermessensausübung im Rahmen der damals geltenden AVNot und an deren Anwendung anknüpfen. Maßgeblich ist vielmehr die Frage, inwieweit die Entscheidung über eine Verfassungswidrigkeit der AVNot erkennbar und absehbar gewesen ist. Dabei mag die Frage der Unterbewertung der Beurkundungserfahrung zwar ein Indiz für einen Verfassungsverstoß sein; darauf kann jedoch nicht isoliert abgestellt werden. Denn auch das Bundesverfassungsgericht hat seine Entscheidungen vom 20.04.2004; und vom 08.10.2004 nicht allein auf diese Frage gestützt.

Die verantwortlichen Mitarbeiter des Justizministeriums konnten und mussten bei sorgfältiger Beobachtung und Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung im maßgeblichen Zeitpunkt nicht erkennen, dass die damalige AVNot verfassungswidrig war. Die Beweis- und Vortragslast liegt insoweit beim Notarbewerber. Die vom Notarbewerber vorgetragenen Indizien genügen jedenfalls nicht, um eine hinreichende Überzeugung von einer absehbaren Verfassungswidrigkeit zu gewinnen.

Da das Besetzungsverfahren grundsätzlich bis zur Ernennung der Mitkonkurrenten gestoppt werden konnte, ist der maßgebliche Zeitpunkt die Ernennung der Mitkonkurrenten am 11.04.2003.

Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 08.08.2002 konnten noch keine zwingenden Rückschlüsse auf die später judizierte Verfassungswidrigkeit der AVNot gezogen werden. Denn die Frage einer möglichen Verfassungswidrigkeit der niedersächsischen AVNot war ausdrücklich noch nicht Thema dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, sondern allein die möglichen irreversiblen Folgen einer Ernennung der Konkurrenten. Das Bundesverfassungsgericht führt bei entsprechenden Fragen in ständiger Rechtsprechung aus, dass die Gründe, die für eine Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben haben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre. In der genannten Entscheidung wurde der Erlass der einstweiligen Anordnung ebenfalls ausdrücklich nur auf diese möglichen Folgen gestützt, nachdem dort ausgeführt wird, es bleibe dem Hauptverfahren vorbehalten zu klären, ob das Kriterium der Punktzahl in der Zweiten juristischen Staatsprüfung die übrigen Auswahlkriterien in der Praxis verdrängt und ob eine solche Handhabung des § 3 AVNot in Niedersachsen einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit darstellt. Dasselbe gelte für die Frage, ob es verfassungsrechtlich haltbar ist, eine langjährige Tätigkeit als Notarvertreter bei der Vergabe von Zusatzpunkten unter Hinweis auf eine systemwidrige Doppelbewertung nicht zu berücksichtigen.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich demnach in seinem Beschluss nicht (kritisch) mit der damaligen Auswahlpraxis auseinander gesetzt, sondern vielmehr die Frage der Verfassungswidrigkeit ausdrücklich offen gelassen und eine reine Folgenabwägung vorgenommen.

Selbst wenn man annehmen wollte, dass mit dem Beschluss vom 08.08.2002 ein Warnsignal gesetzt wurde, lässt sich daraus kein Verschulden konstruieren. Denn eine möglicherweise geänderte Sicht des Bundesverfassungsgerichts war mit dem Erlass der einstweiligen Anordnung gerade nicht sicher absehbar. Es hätte auch eine Verfassungswidrigkeit verneint, eine verfassungskonforme Auslegung dargelegt, lediglich eine Änderung für die Zukunft angemahnt oder dem Verordnungsgeber eine Frist zur Schaffung neuer Regelungen gesetzt werden können.

Die Verfassungswidrigkeit der Punkteverfahren in der AVNot wurde erstmals im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20.04.2004 ausführlich thematisiert. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es keine ausreichend sicheren Anhaltspunkte dafür, dass die bis dahin angewandte AVNot tatsächlich für verfassungswidrig erklärt wird. Auch der Zeuge E hat ausgeführt, dass der ganze Auswahlvorgang auf Verwaltungsvorschriften des Landesjustizministeriums beruht, die nicht nur in B-W in dieser Form vorlagen, sondern in anderen Ländern ebenfalls in ähnlicher Ausprägung. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 08.10.2004 und einer weiteren aus dem April des Jahres 2004, die andere Bundesländer betraf, waren diese Verwaltungsvorschriften über die Auswahl der Notare nach Aussage des Zeugen E gerichtlich unangefochten und von keinem Gericht in Zweifel gezogen worden.

Nach der Forderung des Bundesverfassungsgerichts, das Auswahlverfahren auf eine ausreichende gesetzliche Grundlage zu stellen, wurde neben der Regelung in § 6 Abs. 3 BNotO (Zugangsnovelle vom 29.01.1991) die damalige AVNot (zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung in der Fassung vom 10.09.1998) geschaffen. Das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof haben die Neuregelung gebilligt, die Länder seien im Rahmen des eingeräumten Beurteilungsspielraums befugt, die Auswahlkriterien durch allgemeine Verwaltungsvorschriften (in der Regel als AVNot bezeichnet) zu konkretisieren. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.04.2004 wurde die AVNot von den Gerichten gebilligt. Der Bundesgerichtshof hat noch in seinem den Notarbewerber betreffenden Beschluss vom 31.03.2003 ausgeführt, die Regelung sei verfassungsgemäß.

Die vom Notarbewerber im ursprünglichen Verfahren vorgelegte Stellungnahme des Verfassungsrechtsausschusses des deutschen Anwaltsvereins führt ebenfalls nicht zu einer anderen Bewertung. Zum einen wurde diese Stellungnahme nicht zum Gegenstand des hiesigen Verfahrens gemacht, zum Anderen belegt die Stellungnahme einer berufsständischen Interessenvereinigung noch nicht hinreichend sicher, dass tatsächlich eine Entscheidung im Sinne der dort geäußerten Auffassung ergehen wird.

Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 27. Juli 2011 – 4 U 78/08